Macht unsere Bücher billiger!
Über teure Bücher, skandalöse Bücher, groteske Bücher, die Kunst des Übersetzens, Rezeptionsgeschichte und was Röhm mit Szájer zu tun hat.
Kaminzeit
Adventszeit ist Kaminzeit und so wie es ausschaut, werden wir in diesem Jahr besonders viel Zeit zum Träumen an Kaminen haben. Vor ziemlich genau 100 Jahren erschienen die Träumereien vor preußischen Kaminen, woran Eva-Maria Magel auf faz.net freundlicherweise erinnerte. Die Texte gehören zur bei Tucholsky etwas unterschätzten Textgattung der Groteske - er feierte seine großen Erfolge auch in anderen Gattungen. Mich hatte die Empfehlung etwas erstaunt, hielt ich sie doch für sehr zeitgebunden und heute nicht so recht verständlich. Aber, die 20er sind ja gerade wieder en vogue und insofern: Viel Vergnügen bei der Lektüre. [Anmerkung: Als Könner in der Mehrfachverwertung publizierte Tucho die Texte natürlich weitgehend vorher schon mal woanders, ich habe sie daher zusammengesucht - aktuell scheint auch keine Buchausgabe lieferbar zu sein]
Verneigt euch tief
Das Thema Schriftstellerwitwen ist vielfältig und es lässt sich sehr viel über Rollen, Produktionsbedingungen, Geschlechterverhältnisse und und und herausfinden. Das beginnt ja schon beim Begriff Schriftstellerwitwe selbst. Sie spielen gerade in der Moderne jedenfalls eine sehr wichtige Rolle in der Rezeptions- und Editionsgeschichte. Für Tucholsky lässt sich glasklar und unbestritten sagen: Ohne Mary Gerold wäre er heute einer der zahlreichen vergessenen Publizisten der Weimarer Republik, vielleicht noch bekannt bei spezialisierten Forschenden (na gut, im Ausgleich dazu kümmert sich die Germanistik eben de facto gar nicht um ihn).
Sie widmete ihr Leben nach dem Zweiten Weltkrieg gänzlich der Anerkennung und Bewahrung des Werkes Tucholskys, fand in Fritz J. Raddatz einen willkommenen Unterstützer und ließ keinerlei Fragen zum privaten Verhältnis zwischen ihr und Tucho zu (was sich bis in die Briefeditionen auswirkt). Es war auf jeden Fall nicht einfach mit dem bindungsunfähigen Kurt Tucholsky. Ein paar weiterführende Worte und Links finden sich beim zugehörigen Facebook-Post der Kurt Tucholsky-Gesellschaft zu ihrem 122. Geburtstag, unter anderem den Hinweis auf das maßgebliche Buch zum Thema (und bitte nicht den chronisch unzuverlässigen Selbstdarsteller Raddatz, der natürlich auch dazu geschrieben hat).
Teure Bücher
Nun schon ein paar Wochen auf dem Markt, inzwischen mit Sachbuchbestsellerlistenspitzenplatz, ist Ein verheißenes Land, Erinnerungen des in den letzten vier Jahren vielerorts schmerzlich vermissten US-Präsidenten Barack Obama. Dass der Ladenpreis an sich in Ordnung geht, schrieb ich an anderer Stelle. Der stets um maximale Wirkung und Verbreitung (und ausreichendes Honorar) bemühte Tucholsky hatte dazu übrigens auch eine Meinung, deren Pointe seinerzeit von Carel Halff zum Schlagwort des Zimmerspringbrunnenfilialisten Weltbild erhoben wurde:
Avis an meinen Verleger
Von allen Leser-Briefen, lieber Meister Rowohlt, scheint mir dieser hier der allerschönste zu sein. Er stammt von einem Oberrealschüler aus Nürnberg.
»Lieber Herr Tucholsky!
Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen zu Ihren Werken meine vollste Anerkennung ausspreche. Das wird Ihnen zwar gleichgültig sein – aber ich möchte doch noch eine weitere Bemerkung hinzufügen. Hoffentlich sterben Sie recht bald, damit Ihre Bücher billiger werden (so wie Goethe zum Beispiel). Ihr letztes Buch ist wieder so teuer, dass man es sich nicht kaufen kann.
Gruß!«
Da hast es.
Lieber Meister Rowohlt, liebe Herren Verleger! Macht unsre Bücher billiger! Macht unsre Bücher billiger! Macht unsre Bücher billiger!
Kurt Tucholsky Die Weltbühne, 01.03.1932, Nr. 9, S. 345.
Meine persönliche Forderung freilich lautet: Stärkt unsere Bibliotheken!
Homosexualität als politisches Angriffsziel
Auf twitter erklärt der Journalist Szabolcs Panyi, warum József Szájer’s Party in Brüssel ein journalistisch und politisch zu bewertendes Problem ist. Das erscheint mir tatsächlich wichtig, weil der Weg zu LGBTQ-feindlichen Äußerungen und Bewertungen da nicht weit ist.
Seine Veranlagung widerlegt den Mann gar nicht. Er kann durchaus anständig sein, solange er nicht seine Stellung dazu mißbraucht, von ihm abhängige Menschen aufs Sofa zu ziehn, und dafür liegt auch nicht der kleinste Beweis vor. Wir bekämpfen den schändlichen Paragraphen Hundertundfünfundsiebzig, wo wir nur können; also dürfen wir auch nicht in den Chor jener miteinstimmen, die einen Mann deshalb ächten wollen, weil er homosexuell ist.
aus: Röhm, Ignaz Wrobel, Die Weltbühne, 26.04.1932, Nr. 17, S. 641.
Denn das ist auch außerhalb dieses konkreten Kontextes von Bedeutung, etwa wenn wir darüber reden wollen, wie deutsche rechtsextreme Parteien mit Homosexuellen in den eigenen Reihen umgehen und wie sie Homosexualität in der Gesellschaft bewerten.
Das einzige, was erlaubt wäre, ist: auf jene Auslassungen der Nazis hinzuweisen, in denen sie sich mit den »orientalischen Lastern« der Nachkriegszeit befassen, als seien Homosexualität, Tribadie und ähnliches von den Russen erfunden worden, die es in das edle, unverdorbene, reine deutsche Volk eingeschleppt haben. Sagt ein Nazi so etwas, dann, aber nur dann, darf man sagen: Ihr habt in eurer Bewegung Homosexuelle, die sich zu ihrer Veranlagung bekennen, sie sind sogar noch stolz darauf – also haltet den Mund. […]
Kreischt Goebbels oder donnert Hitler etwas über die Sittenverderbnis der neuen Zeit, so halte man ihnen vor, dass selbstverständlich unter den Nazitruppen Homosexuelle stecken.Im übrigen aber ist das Empfindungsleben Röhms uns genau so gleichgültig wie der Patriotismus Hitlers.
aus: Röhm, Ignaz Wrobel, Die Weltbühne, 26.04.1932, Nr. 17, S. 641.
Ich empfehle den Artikel unabhängig von seinen Qualitäten als Gradmesser übrigens auch deshalb:
Durch die radikale Links-Presse gehen seit einiger Zeit Anschuldigungen, Witze, Hiebe auf den Hauptmann Röhm, einen Angestellten der Hitler-Bewegung. Man sollte niemals die lächerlichen Titel gebrauchen, die Hitler seinen Leuten verleiht; so wie man nicht die von den Nazis gegebenen Kategorien annehmen soll; ein großer Teil der Deutschen unterliegt solchen albernen Suggestionen und geht an diese Dinge heran wie an Schulaufgaben, die Hitler ihnen aufgibt. Wir sind nicht in der Schule, und Titel, Auszeichnungen, Lob und Tadel dieses Anstreichers sind uns gleichgültig.
Könnte man sich auch heute mal hinter die Ohren schreiben…
Neuauflage
Es gibt derzeit eine gewisse Lust daran, Werke aus den Zwanziger Jahren wiederaufzulegen, also rechne ich sehr damit, dass es ein regelmäßiger Bestandteil der Newsletter sein wird, mal zu schauen, was der Literaturkritiker Tucholsky jeweils zu sagen hatte. La Garçonne war ein Skandalroman - warum und wieso, das lässt sich in Tuchos Autorenportrait von 1924 nachlesen. Und der Verlag ist zu beglückwünschen, sich der weitaus besseren 1932er Übersetzung bedient zu haben (auch wenn ich von ebersbach & simon überrascht wäre, hätten sie hier nicht sauber recherchiert), denn 1924 lässt der Autor verlauten:
»Ich autorisiere Sie«, sagte Victor Margueritte, »zu sagen: Diese Ausgabe ist nicht nur eine Verballhornung, ein Verrat an meinem Werk – sie ist auch ein Diebstahl!« (»Ce n'est pas seulement un trahison – c'est un vol!«)
aus: Bei dem Autor der »Garçonne«, Peter Panter, Vossische Zeitung, 22.11.1924, Nr. 555, S. 2.
Fundstück
Das Ding ist in deutscher Sprache verfaßt, unzweifelhaft – aber irgend etwas in der Druckerei muß feucht geworden sein: der Verfasser, das Papier oder der Setzer ... es ist eine Art Privatdeutsch.
aus: Taschen-Notizkalender, Peter Panter, Vossische Zeitung, 30.06.1928, wieder in: Mona Lisa.
Das Thema schlecht übersetzter Gebrauchsanweisungen kenne ich als wesentlich in den 90ern sozialisierter Mensch natürlich schon lange. Kann sein, dass es diese Schwemme von Produkten auch schon früher gab, aber ich lebte bis 1990 in der DDR und mir hatten ja nüscht
Neu und nur durch schlechte maschinelle Übersetzung verursacht ist dieses Phänomen allerdings nicht im Geringsten, wie dieser wundervolle Text über einen Taschen-Notizkalender aus Locarno zeigt, mit dem ich heute schließen möchte:
Auch: »Die Rosen fallen ab, die Dörner bleiben« enthält eine schwermütige Lebensweisheit, die uns überall weiterhilft, nur nicht in der Küche. In der Küche helfen Kochrezepte. Zum Beispiel dieses: »Würste mit Eiern.«
»Nehmet die Würste eine nach der andern, schneidet sie in der länge und setzt sie zum Kochen in eine ungeschmierte Brandpfanne; sind dieselben zu mager, so kann man sie mit einem bißchen Butter kochen. Sobald die Würsten gekocht sind, wirft darauf die gechüttelten Eier und nachdem diese gerinnt sein werden, schickt die Speise ganz warm auf den Eßtisch.« Das war ein merkwürdiger Vorgang.
Der ist aber gar nichts gegen das am Bratspieß geröstete Lamm.
Wie das geht, verrate ich an dieser Stelle aber nicht. Lest lieber selbst.