Neues aus der Wrobelei

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Context is king.

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Zitate: Woher sie kommen und wohin sie führen können.

Gachmuret
Nov 28, 2020
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Liebe Leserʔ⁠innen,

vielen Dank für euer Interesse an meinem Newsletter, dessen erste Ausgabe ihr jetzt in der Hand haltet (der Erfolg von Smartphone und Tablet führt dazu, dass ich diese Phrase nun wieder mit hoher Trefferwahrscheinlichkeit verwenden kann - toll).

Der heutige Newsletter steht unter dem Motto

Kontext ist wichtig

und beinhaltet eine kleine Zitatekunde, die mir möglicherweise etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Weshalb ihr euch aber auf einen baldigen zweiten Newsletter freuen dürft, der die anderen vorbereiteten Themen beinhalten wird. :)

Sprache ist eine Waffe

Tucholsky war ein Meister des pointierten Schreibens. Sein Satz Sprache ist eine Waffe, haltet sie scharf im wunderbaren Text Mir fehlt ein Wort ist da durchaus als Motto zu verstehen. Und gleichzeitig ein Beispiel für die Krux, die sein Können mit sich bringt. Das Zitat ist nahezu allgegenwärtig und wird in verschiedensten Zusammenhängen gebraucht, die keineswegs alle völlig daneben sind. Der Text beginnt mit

Ich werde ins Grab sinken, ohne zu wissen, was die Birkenblätter tun. Ich weiß es, aber ich kann es nicht sagen. Der Wind weht durch die jungen Birken; ihre Blätter zittern so schnell, hin und her, dass sie ... was?

und setzt über diesem Nachdenken zu so feiner Satire an, bei der von der Goetheverehrung bis zur Tageszeitung niemand verschont bleibt, ohne die lyrische Suche aus dem Blick zu verlieren, dass ich diesen Text sehr gerne als geradezu als typologisch für Peter Panter sehen möchte und einfach sehr, sehr mag.

Es ist also durchaus möglich und zulässig, aus Mir fehlt ein Wort das Plädoyer für exakte Sprache im politischen herauszulesen und dann auf Sprache ist eine Waffe, haltet sie scharf einzudampfen. Aber es wäre schade, dies ohne Kenntnis des ganzen Textes zu tun, in dem so viel mehr steckt.

Mörder und Satire

Was das alles mit heute zu tun hat? Also außer der Tatsache, dass Sprache halt wichtig ist? Und wir daher Sprach- und Literaturwissenschaftlerʔinnen lieber zuhören sollten, wenn sie über noch so kleine Formulierungsvarianten Tagungen abhalten?
Auf das eingangs vorgestellte Zitat bin ich jüngst durch einen unsäglichen Beitrag im um Unsäglichkeit stets bemühten Cicero gestoßen. In böswilliger Verkürzung des Konzepts der gewaltfreien Kommunikation (Unkenntnis wäre denkbar, erklärt mir aber die Verachtung nicht), die er wohl für Satire hält, macht Ralf Hanselle mit Tucholsky als Kronzeugen Marshall Rosenberg verächtlich und wärmt nebenbei das Märchen vom linken Meinungsterror an deutschen Universitäten noch mal auf. So schreibt er: Man solle seine Sprachwaffen scharf halten, legte er nach: „Wer schludert, der sei verlacht.“ Und doch, so wirklich zum Lachen ist einem eigentlich gar nicht zumute […]

Bitte korrigiert mich, aber ist verlachen nicht sowieso etwas anderes als Lachen oder bin ich da schon zu sehr von linksgrünversifftem Gedankengut beherrscht?

Dass Protestschreiben und Demonstrationen Audruck von Meinungsstreit und eben nicht dessen Ende ist, werden wir wohl nicht mehr allen beibringen können. Dass sie aber eine gute alte Zeit herbeiphantasieren, nur weil ihre Büros damals halt nicht brannten, kann ich so nicht stehen lassen. Und damals meint keineswegs eine historische Epoche, deren Name nicht genannt werden darf, sondern die Achtziger und Neunziger Jahre. Im Gegensatz zu vielen, vielen anderen Urteilen, bei denen die bundesrepublikanische Gesellschaft kein Problem mit Rechtskontinuität hatte, wurde über das Tucholsky-Zitat Soldaten sind Mörder nochmal intensiv juristisch diskutiert. In der Frankfurter Neuen Presse erinnert Sylvia Amanda Menzdorf an die Frankfurter "Soldatenurteile". Beteiligte Anwälte und Richter mussten unter Polizeischutz gestellt werden, die Kanzlei eines Verteidigers wurde in Brand gesteckt. Aber klar, Cancel Culture.

Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.

Soldaten sind Mörder dürfte eines der beiden Tucholsky-Zitate mit der größten kontextbefreiten Karriere sein. Wer sich die Mühe macht, den zugehörigen Text Der bewachte Kriegsschauplatz in Gänze zu lesen, wird erkennen können, dass Tucholsky mit seiner Pointe einen uralten moralischen Konflikt zusammenfasst und der im heutigen Umgang mit seiner Sentenz nicht einmal ansatzweise erfasst wird, nicht mal von Sven Felix Kellerhoff in seiner Rezension des neuen Sönke Neitzel-Werkes, der dafür aber die wunderbare Formulierung Ursula von der Leyen, bis 2019 Verteidigungsministerin, dürfte in den Männern und Frauen in Uniform am ehesten weltweit tätige Sozialarbeiter gesehen haben findet.
Dass ein deutscher Militärbischof heute äußert

Auch wenn Bundeswehr-Soldaten als äußerstes Mittel Gewalt anwenden müssten: "Mörder sind die Soldaten der Bundeswehr deshalb nicht - weder im juristischen Sinne noch von ihrem Auftrag oder ihrer Intention her", so Felmberg.

hat übrigens durchaus etwas mit Nazis zu tun. Die deutsche Morddefinition mit ihren geltender Rechtsdogmatik völlig widersprechenden Motiv-Elementen galt 1931 nämlich noch nicht und es ist erstaunlich, welche Verrenkungen die deutsche Rechtswissenschaft seither vornimmt, anstatt den Tatbestand aufzuräumen.

Wer in Ruhe nachlesen möchte, welche unglaublichen Debatten sich an einem kontextbefreiten entzünden können und wie wenig man dabei auf die Idee kommen kann, einfach mal den grundlegenden Text zu Rate zu ziehen, Wikipedia tells you.

Nicht bewusst war mir, dass der bereits im Urteil aus der Weimarer Zeit definierte Grundsatz, eine Kollektivbezeichnung könne qua definitionem gar keine persönliche Beleidigung sein und mithin keinen Rechtsanspruch begründen, dazu führt, dass es eigentlich unmöglich wäre, beispielsweise als Jude gegen Holocaust-Leugnung zu klagen, habe ich in der Jüdischen Allgemeinen gelernt. Im Artikel geht es um die juristische Bearbeitung des Falles Hirse-Hitler und dort ist zu lesen:

Eine Ausnahme habe der Bundesgerichtshof jedoch im Jahr 1979 postuliert: »Der Holocaust war als zionistischer Schwindel bezeichnet worden. Der BGH entschied damals, dass von dieser Äußerung jeder in Deutschland lebende Jude betroffen ist, da aufgrund der Singularität der Schoa eine besondere moralische Verantwortung gegenüber Juden besteht.«

Das zweite höchst bekannte und bis zur Unkenntlichkeit dekontextualisierte Zitat ist natürlich Was darf die Satire? Alles. (Bitte stets ohne Ausrufezeichen und bitte mit die zitieren.)

Manfred Niekisch zitiert in der Frankfurter Rundschau in seinem Beitrag zu beleidigten Leberwürsten indirekt:

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich Kabarettist:innen und Magazine sehr oft auf dünnem Eis bewegen, mit Satire, die nach Kurt Tucholsky bekanntlich alles darf.

Niemand zitiert Tucholsky unvollständig…

Möglicherweise reagiere ich nicht angemessen auf diese verkürzte Zitatvariante und sollte mir da Gelassenheit zulegen. Doch derzeit ärgert es mich einfach maßlos, weil all die Einschränkungen, die wohlwollende Zitierende dann hinterherschieben (bei Niekisch ist es dann die Referenz auf ein weiteres Tucho-Zitat: Manchen fehlt dabei aber leider das goldene Herz, das der Altmeister für sich reklamierte.) im zugrunde liegenden Text Was darf die Satire? bereits enthalten sind.

Beispiele gefällig?

Satire scheint eine durchaus negative Sache. Sie sagt: »Nein!« Eine Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine.

Übertreibt die Satire? Die Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.

Und wir müssen nun nicht immer gleich aufbegehren (›Schlächtermeister, wahret eure heiligsten Güter!‹), wenn einer wirklich einmal einen guten Witz über uns reißt. Boshaft kann er sein, aber ehrlich soll er sein.

Der deutsche Satiriker tanzt zwischen Berufsständen, Klassen, Konfessionen und Lokaleinrichtungen einen ständigen Eiertanz. Das ist gewiß recht graziös, aber auf die Dauer etwas ermüdend.

Die Geschichte der Auseinandersetzung mit dieser Schlusspointe eines differenzierten Textes (der übrigens sehr viel über Tucholskys Motivation verrät, er sehnt sich sein Leben lang nach Wirksamkeit und vor diesem Hintergrund ist sein Werk geradezu tragisch (1933 schreibt er an Hasenclever: Ich werde nun langsam größenwahnsinnig – wenn ich zu lesen bekomme, wie ich Deutschland ruiniert habe. Seit zwanzig Jahren aber hat mich immer dasselbe geschmerzt: daß ich auch nicht einen Schutzmann von seinem Posten habe wegbekommen können.)) ließe sich vermutlich ähnlich umfangreich darstellen wie zum Soldaten-Zitat.

Beiden gleich ist aber: Hier werden Auseinandersetzungen um Strohmänner geführt, nur halt im Gewand von Zitaten, die nicht mehr im Kontext des jeweiligen Werkes (mehr will ich ja gar nicht, kontextualisieren ließe sich da sonst noch viel mehr, wie ich als gescheiterter Germanistikstudent immerhin gelernt habe) stehen, sondern als Projektionsfläche dienen. Dagegen lässt sich nicht ankämpfen, denn es liegt in der Natur der Rezeption, dass sie sich vom Werk emanzipiert, aber mitmachen muss man ja trotzdem nicht.

Da Tuchos Werk seit 2006 gemeinfrei ist und in großen Teilen online vorliegt, sei ermutigt, auftretende Zitate nachzulesen. Es lohnt sich immer. Versprochen.

Bonmot zum Schluss: Frau Merkel zitiert bei der Verleihung des Nationalen Integrationspreises Tucholsky mit Es gibt keinen Erfolg ohne Frauen. Ob ihr bewusst ist, dass das Zitat aus einer Rezension zu einem kommunistischen AgitProp-Buch stammt?


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